Auf dem Weg nach Vorn: Wie geteilte Werte und Ziele Belegschaft und Unternehmen weiter bringen können

Einen Sinn im täglichen nine-to-five des Arbeitnehmers zu kreieren, kann als eine der dankbarsten Aufgaben gesehen werden. Nichts ist befriedigender für einen Mitarbeiter, als im täglichen Einerlei einen Sinn wie auch eine Bereicherung zu sehen. Arbeitgeber bemühen sich zunehmend, die Ziele des Unternehmens mit den Beweggründen ihrer Beschäftigten in Einklang zu bringen. Dies wiederum führt zum Gewinn und Erhalt von begabten Mitarbeitern. Gleichzeitig wird die Produktivität durch das Streben hin zu gemeinsamen Zielen gesteigert.

Was hat sich verändert – was ist heute wichtig? Nach einem Jahr, in dem jegliche Normalität sowohl für Unternehmen als auch für die arbeitende Bevölkerung durch COVID-19 außer Kraft gesetzt worden ist, lernen wir neu – wir passen uns den neuen Gegebenheiten an. Bei diesem Maß an notwendigen Veränderungen stellt sich die Frage, inwieweit sich auch unsere Werte und Prioritäten ändern werden.

Da COVID-19 eine für alle und von allen geteilte Erfahrung ist, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden, dass die Pandemie sowohl ein Kraftfeld als auch eine zum Umbruch führende Transformation ist.

Für viele Menschen ist 2020 zum lang ersehnte Reset-Button geworden; ob es Unternehmen sind, die ihr Betriebsmodell überdenken, oder der Einzelne, der re-evaluiert, was ihm tatsächlich im persönlichen und beruflichen Umfeld am Wichtigsten ist.

Wir haben uns in uns selbst zurückgezogen, nicht nur um uns selbst vor dem Virus zu schützen, sondern auch die Gesundheit der anderen. Gleichzeit haben wir die Möglichkeit, sowohl unsere Beweggründe, wie auch unsere Bestrebungen neu abzuwägen.

Eine solche Möglichkeit des Überdenkens der Sinnhaftigkeit eines Einzelnen und der Gemeinschaft ist fundamental für das Erlebnis von Arbeit, und kann als Quelle von größerer Produktivität und Leistung / Performance gesehen werden.

Als Folge der Herausforderungen, die die Pandemie mit sich gebracht hat und der Anpassungen an den neuen Alltag, als auch durch die Durchführung von Verbesserungen durch Innovationen, führt eine veränderte Unternehmensplanung zu einer Re-Evaluierung von Unternehmenswerten.

Soll heißen – nichts ist mehr so wie früher: Man kann diese Veränderungen als Chance sehen, das herauszufinden, was Mitarbeitern wichtig ist und um Strategien zur Angleichung dieser Wertevorstellungen zum Besten des Unternehmens zu erstellen. Damit einher geht die Erzeugung neuer Möglichkeiten für bedeutungsvolle Arbeit und die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen.

Unternehmenswerte als treibende Kraft

jeder, der einmal ein großes Projekt in Angriff genommen hat, sich weitergebildet oder ein Ziel verfolgt hat, das einer außergewöhnlichen Anstrengung, einer Hingabe und einer Beharrlichkeit bedurfte, weiß um die Befriedigung und die Motivation, noch mehr erreichen zu wollen.

Ebenso geben schwierige Zeiten uns die Gelegenheiten zu lernen, zu wachsen und uns zu entwickeln. Der Umbruch und die Isolation, die die Pandemie 2020 verursacht haben, ermöglichen vielen, existentielle Fragen über die gemeinsamen Ziele und die gegenseitige Abhängigkeit zu stellen. Der Einzelne hat gerade jetzt die Zeit und die Gelegenheit, Prioritäten zu überdenken, mit unerwünschten Gewohnheiten zu brechen und sich einer neuen Zukunft zu öffnen sowie neue Ziele für sich festzulegen.

Diese selbstgewählten Ziele sind das, was uns ausmacht, unserem Sein Bedeutung verleiht und uns motiviert. Solche sind individuell und subjektiv; sie können eindeutig als auch abstrakt sein – jedenfalls sind sie bedeutungsvoll für jeden einzelnen von uns.
Für Arbeitgeber ist es daher maßgeblich, dass sie diese Bestrebungen und Wertevorstellungen ihrer Mitarbeiter verstehen und als Anstoß für Motivation und Leistung einsetzen. Sie können ein schwergewichtiges Instrument zum Engagement im Unternehmen werden, wenn sie Menschen mit ihrer Arbeit auf bedeutungsvolle Weise verbinden.

Beiden Seiten – Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern – hilft es, wenn persönliche wie auch unternehmerische Zielsetzungen gemeinsame Erwartungen bedienen, denn diese bilden die Grundlagen für Spitzenleistungen. Gleichsam muss auch Raum für Erfolge – und Misserfolge – gegeben sein; es stellt sich somit die Frage, wie Unternehmer ihre Mitarbeiter so stärken können, dass ihnen sowohl Freiheit, aber auch ein Sicherungsnetz zur Verfügung stehen?

Laut Nikolaus von Hesler, Head of HR bei Siemens in Spanien, müssen die Grundlagen für eine solche Übereinstimmung darin liegen, dass man mit einer Mannschaft arbeitet, die voll hinter den Zielen und Vorstellungen des Unternehmens steht. Gleichzeitig ist es essentiell, eine Arbeitsumgebung und eine Kultur zu schaffen, die ein unvermeidliches Nebenprodukt dieses Unterfangens erlaubt, nämlich die Option des Versagens:

„Wir sind uns im Klaren darüber, dass man von Zeit zu Zeit versagen muss, um am Ende innovativ zu sein. Also muss ein Maß an Resilienz aufgebracht werden, dass uns in manchen Bereichen erlaubt zu versagen. Unsere Wertevorstellungen unterstützen eine solche Betrachtungsweise: Top-Leistungen, Innovationen und Verantwortungsbewusstsein. Dabei sehen wir eine solche Denkart nicht als introvertiert. Unser Ziel ist es nicht, nur auf die Spitzenleistung Einzelner zu setzen, sondern wir streben danach, unsere Produkte und unsere Dienstleistungen exzellent zu machen. Das erfordert eine kollektive Spitzenleistung, durch die ein Jeder individuell sein Bestes gibt.“

Nikolaus von Hesler, Head of HR bei Siemens in Spanien

Eine Belegschaft zu schaffen, die all diese Entwicklungen im Blick hat, ist allerdings kein Kinderspiel. Es verlangt eine Vision, Vertrauen in Mitarbeiter und dafür zugewiesene Ressourcen. Nur auf diese Weise kann ein langfristiger Nutzen aus einer kurzfristigen Verpflichtung entwickelt werden. Mitarbeiter, die Zugang zu beschleunigten Lernprozessen und Führung im Unternehmen haben, entwickeln eine nicht zu unterschätzende Angstfreiheit am Arbeitsplatz.

Im Hinblick darauf, dass dies eine langfristige Strategie erfordert, ist es notwendig, einen klaren Überblick über die Werte zu bekommen, die von den Mitarbeitern unterstützt und verfolgt werden. Dies erfordert konstantes Monitoring und Anpassung an die Erwartungshaltungen, die auf allgemeineren Faktoren basieren. Von Hesler erklärt dies so, dass Menschen einen Wertefundus benötigen, den sie verinnerlichen können, der regelmäßig überprüft wird, und an ökonomische, industrielle und soziale Faktoren angepasst wird, so dass die jeweiligen Werte dem Unternehmen einen Handlungsrahmen geben, nach dem es sich richten kann.

„Als die Pandemie auftrat, haben wir bei Siemens hinterfragt, wie unser allgemeines Leitbild uns den Rahmen geben kann, aktiv an der Bekämpfung des Virus teilzunehmen. 
Wir stellten uns die Frage: ‚Welche Art von Unternehmen sind wir, wenn wir jetzt und hier nicht in der Lage sind, der Gemeinschaft zu helfen?‘. Um Druck von den Mitarbeitern zu nehmen und diesen Raum zu geben, sich über Maßnahmen zur Hilfe Gedanken zu machen, haben wir den Zeitrahmen für anstehende Projekte angepasst, um Ressourcen freizusetzen. Eine Gruppe von Ingenieuren, die normalerweise nicht im Healthcare-Bereich tätig sind, entwickelte eine kostengünstigere Produktionsweise für Beatmungsgeräte, die weltweit Mangelware waren. Einer dieser Mitarbeiter schlief weniger als acht Stunden in jener Woche, um dem Projekt zum Erfolgt zu verhelfen. Sein Antrieb war, dass er wusste, dass Leben von seinem Beitrag abhingen. Er war dazu nicht verpflichtet, aber für ihn war klar, welchen Wert seine Arbeit hatte und dass diese Jedermann zugutekommen würde.“

Während dieses Maß an Schlafmangel weder üblich noch durchhaltbar ist, demonstriert es dennoch, wie ein starker Wertekodex sich für die Arbeitnehmer bei Siemens zu einer Blaupause entwickelte, die aufgrund außergewöhnlicher Umstände im wahrsten Sinne des Wortes die Führung übernahm. Die COVID-19 Pandemie gab Siemens die Gelegenheit, Produkte, die sie nie zuvor hergestellt hatten, zu entwickeln, und – entscheidend – eine Mission auszuführen, die der Gesellschaft als Ganzes hilft.

Seinen Platz in der Welt finden

Für manche Menschen bedarf es des ganzen Lebens, um seinen / ihren Platz im Getriebe des Weltgeschehens zu finden. Tatsächlich behaupten 84 % der Millennium-Generation, dass sie nach sinnhafter Arbeit streben. Gleichermaßen sind die meisten Menschen dazu bereit, eine Lohnkürzung hinzunehmen, um etwas Bedeutsames zu schaffen.

Es ist überraschend, dass 94 % der Arbeitnehmer bei ihrem Arbeitgeber verbleiben wollen, sofern dieser bereit ist, in ihre Karriere zu investieren. Hingegen tun genau dies nur ein Drittel aller Unternehmen. Beinahe die Hälfte der über 55-Jährigen kritisiert, nicht oder nicht ausreichend intern gefördert und weitergebildet worden zu sein. Insbesondere bei der digitalen Weiterbildung handelt es sich lediglich um Lippenbekenntnisse, um Mitarbeiter bei Laune oder im Unternehmen zu halten – somit werden Versprechungen bedeutungslos, zur Unzufriedenheit von Mitarbeitern wird aktiv beigetragen.

Stellt man einen Zusammenhang her zwischen dem Potential der Belegschaften und den notwendigen Schritten zur tatsächlichen Realisierung eines solchen, hält man den Schlüssel für die Arbeitskräfte von morgen in der Hand. Die Firmen, die einen Wettbewerbsvorteil durch Steigerung der Produktivität ihrer Mitarbeiter erreichen wollen, müssen aktiv werden, um diese nicht von anderen Unternehmen abwerben zu lassen.

Nikolaus von Hesler geht sogar einen Schritt weiter: Die einfache Zurverfügungstellung von Entwicklungschancen kann überdecken, was der eigentliche Zweck dahinter ist – nämlich, dass das individuelle Bestreben verbunden ist mit größeren, sozialen Themen und damit, das Beste im Menschen zum Vorschein bringt.
Tatsächlich leben wir ja nicht unabhängig und distanziert von den Systemen und Netzwerken, zu denen wir gehören – womit die Unterstützung des großen Ganzen zum Nutzen aller schlussendlich auch den Unternehmen selbst zu Gute kommt.

„Wir bemühen uns, Menschen in ihrer Entwicklung zu helfen, unabhängig vom Zeitpunkt in ihrer Karriere. Wir identifizieren ihre Stärken und arbeiten mit ihren Fähigkeiten. Dazu gehört auch zu erkennen, dass es nicht nur um den Einzelnen geht, sondern um etwas Größeres; sonst wäre ein solches Unterfangen nicht zielgerichtet. Wir reden zu viel über Selbstwertgefühle und persönliche Werte. Das ist zu eng gedacht und zu introvertiert: Menschen entfernen sich vom großen Ganzen, wenn wir unsere Ziele nur isoliert und auf den Einzelnen bezogen sehen. Je eher Menschen nicht nur an sich selbst denken, erkennen sie die Möglichkeiten, anderen zu helfen und erreichen so andere größere Ziele. Und das wiederrum bringt natürlich ein hohes Maß an Befriedigung mit sich.“

Dora Horjus, Managing Director, Health, bei Aon, bestätigt, dass Unternehmen sich mehr und mehr vom nach innen gerichteten Denken und der Return-on-Investment-Haltung hin in Richtung Training und Entwicklungsförderung bewegen:

„Man muss die Grenzen verschieben, wie persönliches Wachstum und Entwicklung gefördert werden: Weg von den üblichen ‚Produktionsmentalitäten‘, die den Weg zur Institutionalisierung und größerem Profit pflastern und eine persönliche Weiterentwicklung hemmen. Wir müssen sicherstellen, dass die alten Lernmethoden ersetzt werden durch die neueren Bewegungen, bei denen Menschen ihren eigenen Weg im Leben finden, und ihre Laufbahn für sich selbst entdecken und entwickeln, indem man als Arbeitgeber das Beste in ihnen erweckt und sie nicht lediglich von oben herab instruiert.“

Dora Horjus, Managing Director, Health, bei Aon

Ein sinnhafter, persönlicher Fortschritt

Es ist ein komplexes Unterfangen, die sehr persönliche Frage nach dem ‚warum‘ bei der Laufbahnrichtung zu beantworten. Bei der Beantwortung muss daher abgewogen werden zwischen den persönlichen Interessen und Bestrebungen, wie auch den Fähigkeiten und Kompetenzen. Der individuelle Mensch sucht nach dem Ziel und Zweck, findet ein Unternehmen mit derselben Zielsetzung und sucht sicherzustellen, dass man auch außerhalb des Arbeitsplatzes ein erfülltes Leben führt. Also, eine perfekte Work-Life-Balance.

Im weiteren Verlauf lernt ein Jeder schnell, dass es sich hierbei um einen lebenslangen Prozess handelt, der tatsächlich niemals beendet ist. Wir erreichen ein Ziel, das sich nur als Zwischenziel herausstellt; in jedem Ende ist ein Neuanfang zu sehen, bei dem wir uns die Frage stellen ‚was kommt als Nächstes?‘ Wenn die Verwirklichung im eigenen Selbst das ultimative Ziel ist, stellen die Umgebungsfaktoren die Parameter dar und wir müssen uns individuell ständig anpassen. Das Erreichen von Nahzielen wird zu einem konstanten Prozess der Re-Evaluierung und Anpassung an die Umgebung. Der Zweck ist nicht ein Einzelfaktor, der uns individuell bestimmt, und auch nicht das Ziel – es ist eine Reise. Hier ist somit der sprichwörtliche Weg das Ziel. Nikolaus von Hesler stimmt diesem Gedanken zu und geht so weit zu behaupten, dass die momentanen Definitionen und Hinführungen zu einem singulären Ziel, zu einer einzigen Absicht, verfehlt und irreführend sind:

„Menschen habe nicht nur ein Ziel, sie haben viele Ziele. Werkzeuge sind nur für eine Anwendung gemacht. Wenn man Menschen wie Werkzeuge behandelt, wird man schnell erkennen, dass sie schlichtweg nicht isoliert betrachtet werden können – stellen sie doch fest, auch anderweitig sinnstiftend agieren zu können. Das Problem mit dem Konzept, den Zweck als all-umfassendes Endziel zu fördern ist, dass es uns Menschen nicht glücklich macht und folglich auch nichts ist, wonach wir streben. Aus meiner Sicht gibt es nur einen Weg, Mitarbeitern zu helfen, ihren Platz im Leben zu finden und Selbstwürde zu vermitteln, und das ist tatsächlich über den Prozess des sich-selbst-Seins.“

Des Weiteren liegt der Schlüssel zur Resilienz nicht in der Fähigkeit, ein Ziel zu definieren und zu verfolgen, sondern darin, sich während der Verfolgung des Ziels den Gegebenheiten anzupassen und persönliche Nahziele erneut zu stellen, sobald der Job erfüllt ist. Wenn dem nicht so ist, mag sich der Mitarbeiter unter Umständen verlassen fühlen, weil er sich nicht vom vorherigen Zielpunkt wegbewegen kann.

Abgesehen davon ist das, wonach sich ein Großteil der Menschen sehnt, relativ simpel. Die Auswirkung der COVID-19 Pandemie, wenn auch für viele unvorhergesehen und desorientierend, hat den Zeigerausschlag in Bezug auf das Wohlbefinden vieler Menschen zum Positiven bewirkt:
Begründet durch die Verlagerung von Arbeit an den heimischen Schreibtisch und der Neubewertung dessen, was ihnen wichtig ist. Damit Unternehmen nunmehr die Bedürfnisse und Wünsche verstehen können, ist es umso wichtiger, dass sich Arbeitgeber in einen Dialog mit ihren Mitarbeitern begeben. Damit wird ihnen ermöglicht, Ideen und kreative Lösungen zu entwickeln; während Organisationen ihrerseits Sinnhaftigkeit vermitteln, die bei den Mitarbeitern einen Nachhall findet. Dora Horjus stimmt dem zu und bemerkt, wie viele Dinge es gibt, die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern von sich aus an die Hand geben können, während sie praktikable Veränderungen hin zu einer besseren Denkweise vornehmen.

„Einleitend ist es hilfreich, Menschen über Lösungsansätze und Wahlmöglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, in Kenntnis zu setzen. Das allein macht schon einen großen Unterschied. Dies könnte auch bedeuten, dass sich die Richtung, in die sich das Unternehmen selbst entwickelt, verändern muss – und dies sich langfristig bezahlt macht.  In der Vergangenheit hat der Mitarbeiter als Einzelner häufig die persönlichen Ziele an denen des Unternehmens gemessen bzw. sie mit diesen verglichen; doch Unternehmen sehen bisweilen ihre Zukunft primär in Wachstum und Expansion – dem „größer, weiter, besser“ unserer Zeit. Damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich in dem „Wohin“ wieder treffen können, müssen Organisationen zu den Grundlagen zurückkehren und sich an diesen orientieren.“ 

Von der Theorie in die Praxis

Dora Horjus stellt hierbei zur Diskussion, ob eine der größten Veränderungen für Arbeitnehmer aktuell eine Veränderung sozialer Natur sei. Während der Pandemie hat sich die Dynamik am Arbeitsplatz grundlegend verändert; Menschen passen sich der Situation an, um die sozialen und beruflichen Aspekte ihrer Arbeit zu überdenken:

„Am Anfang des Jahres 2020 konnten wir nicht voraussehen, dass 90 % der Menschen dauerhaft von zu Hause aus arbeiten würden. Diese Veränderungen sind profund; wir reden von mehr Arbeit, auch in neuen Kontexten, mit Kind und Familie im Hintergrund. Im beruflichen Umfeld haben wir mehr, manchmal auch weniger Meetings als vorher; zumal dies die einzige Art und Weise ist, miteinander außerhalb des privaten Umfelds zu kommunizieren und mit Kollegen zusammenzukommen. Dies hat einen großen Einfluss darauf, wie erfüllt und produktiv sich Arbeitskräfte fühlen.“ 

Auf dem Weg zu einem gesundheitsbewussten, bewegungsaktiveren Mitarbeiter stellen Unternehmen häufig die physische Fitness in den Vordergrund. Damit sollen krankheitsbedinge Abwesenheiten reduziert und ein Maß an Produktivität aufrechterhalten werden. Doch rein auf die Physis abzielende Maßnahmen sind nicht für jeden etwas. Vielmehr zeigt das, was die Menschen in der Zeit des Lockdowns getan haben – womit sie sich beschäftigt haben – was ihnen wirklich wichtig ist. Horjus meint, dass Menschen den tatsächlichen Sinn ihrer Work-Life-Balance darin sehen, wie sie ihr persönliches und professionelles Leben miteinander in Einklang bringen.

„Körperliches Wellbeing hat sich seit Jahrzehnten über den Besuch von Fitnesscentern definiert; darin wurde kulturell der notwendige Ansatz gesehen, physische Fitness sicherzustellen. Als Fitnessräume geschlossen wurden und Jedermann seine Zeit in den eigenen vier Wänden verbrachte, veränderte sich der Fokus: Plötzlich wurden stattdessen die eigenen Kinder zum Spaziergang mitgenommen oder das Spielen in Parks und Gärten zum „Fitnessprogramm“. Was wir bei einer Rückkehr in den geordneten Bürobetrieb mit großer Wahrscheinlichkeit sehen werden, ist eine Mischung zwischen Neu und Alt.“

An vorderster Front

Menschen entwickeln sich. Sie lernen konstant durch Erfahrungen, die sie machen und verändern ihre Erwartungshaltung im Laufe des Lebens, während die Welt um sie herum sich mit ihnen verändert. Das Potential, das ein engagierter, motivierter, wertorientierter Arbeitnehmer bietet, ist beispiellos.

Es ist wahrhaftig nicht einfach, eine Kultur und eine Geisteshaltung zu entwickeln, die Raum für das Wachstum der Mitarbeiter und des Unternehmens zugleich zulässt. Dennoch haben Arbeitgeber von der Pandemie eines gelernt: Es bedarf der Beachtung einiger klarer Leitprinzipien, um eine resiliente Belegschaft zu schaffen und ein besseres Verständnis sowie ein Gefühl der Verbundenheit seitens der Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber zu kreieren.

Endlose Möglichkeiten schaffen.

Jeder ist anders. (Er-)raten, was Menschen wirklich wollen oder brauchen, ist nicht ganz einfach und kann bestimmte Gruppen ausgrenzen. Allerdings stehen viele, kostengünstige Optionen allen Arbeitgebern zur Verfügung: Schon durch die Abänderung von Arbeitsmethoden und dem Zulassen größerer Flexibilität am Arbeitsplatz kann einiges an Nutzen erreicht werden.

Wenn aber das Ziel ist, alle Mitarbeiter von den Veränderungen profitieren zu lassen, dann ist es unerlässlich klar darüber zu kommunizieren, was ihnen – den Mitarbeitern – wirklich zur Verfügung steht. Wird die Belegschaft in die Lage versetzt, selbst eine Auswahl zu treffen und zu bestimmen, was für sie oder ihn gut und richtig ist, dann kann damit eine aktive Lenkung in Richtung von Ausgleich und persönlicher Sicherheit erzielt werden. In den Augen von Dora Horjus ist es hierbei maßgeblich, eine Basis für das Wohlbefinden der Arbeitnehmer herzustellen, und dass es in der Zukunft keine Entschuldigung mehr dafür geben darf, Menschen am Arbeitsplatz nicht mit dem zu versorgen, was für sie notwendig und wichtig ist.

„In Bezug auf Gesundheitsleitungen müssen wir alle wissen, wo wir geradestehen. Jeder von uns braucht eine Grundsicherheit im Leben. In manchen Ländern gibt es diese anhand von Sozialleistungen und Gesundheitsfürsorge. Doch um wirklich resiliente Populationen zu schaffen, müssen solche grundlegenden Freiheiten jedem zur Verfügung stehen. In Krisenzeiten sind es die Sicherungsnetze, auf die wir uns verlassen müssen – alleine ihr Vorhandensein schafft ein Grundvertrauen.“

Zuhören. Einfach nur zuhören.

Durch das Zurverfügungstellen einer Auswahl an Optionen können Arbeitgeber den Ausgangspunkt für eine wohldurchdachte Wellbeing-Strategie schaffen. Und dennoch: Die Welt und Menschen ändern sich permanent; neue Technologien kommen auf den Markt, der finanzielle Druck steigt, Kinder kommen auf die Welt und neue Interessen entwickeln sich.

Wenn man als Arbeitgeber diesen gefühlt immer schneller schlagenden Puls der Zeit wahrnimmt, kann man damit verbunden die kommenden Veränderungen praktisch bereits vorhersehen. Vor COVID-19 war es kein Geheimnis, dass sich das Leben von Menschen durch WFH („Working from Home“ / Home Office-Nutzung) verbessert – die meisten Arbeitnehmer haben sich mehr Flexibilität in ihrem Arbeitsleben gewünscht. Ist dies einmal verstanden, bleibt dem Arbeitgeber nichts anderes übrig, als zu agieren, sagt Nikolaus von Hesler. Er zielt mit dieser Aussage auf bedeutsame Veränderungen bei Arbeitspraktiken ab, während das Unternehmen sich dem ‚New Normal‘ – dem ‚neuen Alltag‘ – zuwendet:

„Der Blick in die Zukunft beinhaltet nicht mehr als zwei Präsenztage im Office. Pendeln ist eine enorme Zeit- und Energieverschwendung als auch umweltschädigend. Wir finden gegenwärtig neue Wege, Aufgaben zu bewältigen, die uns wichtig sind. Eigentlich sind wir davon ausgegangen, dass „Talent Discussions“ virtuell nicht oder nur schwerlich möglich sind, aber wir haben es ausprobiert und sind eines Besseren belehrt worden, hat es doch besser funktioniert, als bisher. Wir können unsere Mitarbeiter mit Hilfe von Telefongesprächen begleiten, um sie beim Lernen zu unterstützen und ihnen eine Plattform zur Weiterentwicklung zu bieten. Gleichzeitig prüfen wir aktuell auch die Einführung weiterer Möglichkeiten der digitalen Zusammenarbeit.“

Mehr Flexibilität. Weniger Tabus.

Je nach Kultur und sozialen Normen sind manche Veränderungen für Arbeitgeber schwer zu verdauen. Doch auch für den Arbeitnehmer kann es in Stress ausarten, wenn er im „Home-Office“ das Gefühl hat, ständig unter Beobachtung zu stehen und immer präsent zu sein.

Damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich gleichermaßen wohl fühlen, ist die Kommunikation dessen, was akzeptabel ist und was nicht, wie wichtig Sorgfalt und Engagement sind und was das Unternehmen generell erwartet, das A und O. Auf diese Weise werden Mitarbeiter mit der Zeit lernen, mit diesen neuen Freiheiten umzugehen. Das zeigt auch die Verhaltensweise der Menschen während der Pandemie selbst: Die Empathie, die Mitarbeiter sich gegenseitig weltweit entgegenbringen, beweist, dass Menschen sich schnell anpassen können, um ihre und die Situation anderer zu verbessern. Dora Horjus unterstreicht hierbei, dass das, was bisher ‚akzeptabel‘ war, jetzt die höchste Hürde darstellt:

„Die größte Herausforderung liegt darin herauszufinden, was sozial und kulturell akzeptabel ist. Es kann eine sinnvolle Beschäftigung sein, die Ressourcen am Arbeitsplatz zu nutzen, um im eigenen Tempo zu lernen; auch weniger Arbeitsstunden zu verwenden, wenn dabei die Produktivität grundsätzlich gesteigert wird. Aber viele sind unsicher dabei. Das Einzigartige an COVID-19 ist, dass wir alle die Auswirkungen erleben, so dass jeder eine eigene Perspektive dazu entwickeln konnte und kann. Die Lehren, die wir alle daraus ziehen– gemeinsam und zur selben Zeit – könnten die neuen Fundamente der Welt bilden, die wir uns wünschen, anstelle derer, die die Welt tragen, die wir geerbt haben.“

Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine Arbeitswelt zu schaffen, in der Mitarbeiter ihre eigenen Entscheidungen treffen können, um die notwendige Balance zu erreichen, macht es den Menschen leichter, einen Sinn dahinter zu erkennen. Arbeitnehmer mit den Arbeitgebern zusammenzubringen, die die gleichen Wertevorstellungen haben, ist von entscheidender Bedeutung, um echte Produktivität sicherzustellen, das Unternehmen vorwärts zu bringen und zukünftige Erfolge zu schaffen. Wer Werte neu formen will, darf sich schlussendlich nicht nur den Veränderungen der Welt um sich herum anpassen.

Dora Horjus ist hierbei der Meinung, dass jetzt – nachdem die geringe Effektivität der ‚alten Arbeitsweisen‘ aufgedeckt wurde und man festgestellt habe, wie unzufrieden Mitarbeiter seien – der Zeitpunkt gekommen sei, an dem Unternehmen wieder darüber nachdenken sollten, wie sie für die Zukunft aufgestellt sind und wie ihre Personalstrategien zum Wohle aller verändert werden können:

„Über einen langen Zeitraum hinweg haben wir uns mit dem ‚nice-to-have‘ beschäftigt, haben uns selbst und den Menschen um uns herum suggeriert, wie essentiell sie seien -auch wenn dem nicht so war. Zwar wird es nicht einfach sein, von heute auf morgen von Grund auf alles neu aufzusetzen, doch mehr und mehr Länder und Unternehmen betrachten das Problem vom Standpunkt der Produktivität aus. Der Gedanke, dass eine Vier-Tage-Arbeitswoche und ein staatliches Grundeinkommen die richtige Richtung aufzeigen – nicht nur hin zu einer höheren Produktivität, sondern insbesondere zu einem stärkeren persönlichen Wohlbefinden.“

Eine solch positive Haltung kann ein ganzes Unternehmen durchdringen und es durch unvermeidliche Herausforderungen in der Zukunft tragen – ihm schlichtweg zur Resilienz verhelfen. Nikolaus von Hesler erklärt, wie bei Siemens die komplette Mitarbeiterschaft – auf jedem Level – von der Mission außerordentliche Produkte und Dienstleistungen zu schaffen, beeinflusst ist. Dadurch wird das Unternehmen auch in den kommenden Jahrzehnten ein starker Vorreiter bleiben:

“Unabhängig davon, in welcher Position innerhalb der Organisation sich der Arbeitnehmer befindet: Unsere Mitarbeiter sind stolz auf ihre Arbeit, weil sie eine Verknüpfung zwischen dem, was ihnen wichtig ist, und dem, was uns wichtig ist, herstellt. Sie (die Mitarbeiter) haben einen Ort und eine Arbeitsweise gefunden, an dem und mit der sie sich wohlfühlen und durch die sie glücklich sind, exzellente Produkte herzustellen. Eine solche Belegschaft zu haben, die es wertschätzt, wenn etwas gut gelaufen ist oder ein erfolgreiches Resultat hervorbringt – unabhängig von der Rolle des Einzelnen innerhalb der Organisation – ist ein Geschenk und sollte auf keinen Fall unterschätzt werden.“

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